Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Mittwoch, 23. November 2011

23. November 1967


Das, was es heute zu lesen ist, ist zwar nicht wirklich zeitlos, aber auf alle Fälle so aktuell wie 1967. Gesine und Marie treffen auf der Straßen Francine (siehe 25. Oktober; 1. November), die ungeliebte Muss-Freundin von Marie. Marie gibt Gesine gegenüber Fakten über sie preis. Dass Francine hat schwanger werden wollen, um von der Familie loszukommen; dass ihr Bruder versucht hat sie zu vergewaltigen; das sie in einem Viertel lebt, wo Drogenkonsum zum guten Ton gehört, dass die Mutter sie vernachlässigt; dass jedes Kinder der Mutter von einem anderen Vater stammt; dass sie ihren Vater gar nicht kennt; … Das gibt es heute immer noch genau so. Von Deutschland weiß ich es sicher, von den USA vermute ich es mal so gut wie sicher. Ich hatte gestern ein Gespräch mit einer 21-jährigen, die schon ihren dritten Drogenentzug hinter sich hat. Den ersten hatte sie mit 16. Ein paar Institutionen kümmern sie um solche Leute, wenn sie überhaupt bereit sich, sich kümmern zu lassen. Der Rest schaut weg, will sich das Elend erst gar nicht antun. Das beginnt manchmal in der Familie, spätestens aber ist das Wegschauen in größeren Gemeinschaften gang und gäbe, geschweige denn von Städten und Kommunen. Und wer und wie viele gerade in Afrika verhungern, in Japan verstrahlt, in Mexico erschossen werden – die Frage ist doch die: Was gibt es heute zu essen und was kommt im Fernsehen? Mir fällt diese Aspirin-Werbung ein „Etwas weniger Schmerz in der Welt“ oder so ähnlich. Aber es scheint naiv zu sein zu sagen: Wenn jeder auf seinen Nachbarn aufpasst, sich um ihn kümmert, dann ist allen geholfen.

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