Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Samstag, 26. November 2011

26. November 1967


„Heute morgen beginnt die Ubahn acht ihrer 36 Routen anders zu fahren …“ Grund für Johnson genug, sich Seite um Seite über das Ubahn-Fahren in New York auszulassen. Wenn er meint, mich hat’s nicht interessiert.

Freitag, 25. November 2011

25. November 1967


Gut, dass ich den Mittagsschlaf nicht gemacht habe, sonst wäre ich mit den heutigen 14 Seiten (!) ganz schön ins Schleudern gekommen, viel Zeit ist heute nicht. Johnson holt aus, und gibt Aus- und Einblicke auf eine Art gesellschaftliches Panorama in Veränderung. Geschickt steht erst Lisbeth im Mittelpunkt, die ihrem Gatten nach England nur ungerne Briefe schreibt und händeringend nach Inhalten sucht „mal hat sie [Gesine] grüne Augen, mal graue“. Dabei hätte sie mindestens soviel zu schreiben wie Johnson heute, denn in Jerichow nimmt der nationalsozialistische Ungeist weiter Raum. Jüdische Geschäfte werden von Nazis ‚bewacht’, dass niemand kauft, Tierarzt Seming verliert sein Amt als Veterinär, Kleingeister wittern Morgenluft und treten in die Partei ein. Man versucht sich zu arrangieren, man versucht Vorteile sich zu verschaffen. Das tolle an dem Eintrag heute – Johnson arbeitet leichthändig die Motivationen heraus und die sind alles andere als politisch. Hilde beispielsweise ignoriert den Geschäftsboykott nicht aus Überzeugung, sondern weil der Pelzmantel so wahnsinnig billig ist. Der ein oder andere macht sich aus finanziellen Gründen gemein mit den Nazis und so suppt die braune Soße langsam über den Ort, dringt in die Zimmer, Geschäfte und Ämter ein. Ein wirklich starker, entlarvender Text, der extrem glaubwürdig daher kommt, zwar keine Antwort auf die Frage gibt „Wie konnte es soweit kommen“, aber Hinweise liefert. Überzeugende in der Darstellung, nicht aber inhaltlich.

Donnerstag, 24. November 2011

24. Novmeber 1967


Weiter in meiner täglichen „Lindenstraße“ von 1967. Heute so eine Zwischenepisode, in der einfach ein paar Dinge geklärt werden, damit es weiter gehen kann. Dinge, die erzählt werden müssen, die aber an sich nicht gerade Neugierde wecken. Cresspahl kommt in Richmond alleine einigermaßen zurecht, er weiß sich zu organisieren. Perceval, einer seiner Mitarbeiter hat gekündigt, nachdem ihm klar geworden ist, dass Lisbeth wohl nicht wieder kommt. In Deutschland verschärft Hitler die Gesetze – Todesstrafe für den Missbrauch von Uniformen und Abzeichen u.a. – und die Juden kommen ins Visier – Boykott der Geschäfte. Ich muss mir echt mehr Zeit einplanen für die Lektüre, denn die Länge der Einträge haben sich verdoppelt. Waren es bisher meistens so zwei, drei Seiten, sind sechs nun fast schon üblich.

Mittwoch, 23. November 2011

23. November 1967


Das, was es heute zu lesen ist, ist zwar nicht wirklich zeitlos, aber auf alle Fälle so aktuell wie 1967. Gesine und Marie treffen auf der Straßen Francine (siehe 25. Oktober; 1. November), die ungeliebte Muss-Freundin von Marie. Marie gibt Gesine gegenüber Fakten über sie preis. Dass Francine hat schwanger werden wollen, um von der Familie loszukommen; dass ihr Bruder versucht hat sie zu vergewaltigen; das sie in einem Viertel lebt, wo Drogenkonsum zum guten Ton gehört, dass die Mutter sie vernachlässigt; dass jedes Kinder der Mutter von einem anderen Vater stammt; dass sie ihren Vater gar nicht kennt; … Das gibt es heute immer noch genau so. Von Deutschland weiß ich es sicher, von den USA vermute ich es mal so gut wie sicher. Ich hatte gestern ein Gespräch mit einer 21-jährigen, die schon ihren dritten Drogenentzug hinter sich hat. Den ersten hatte sie mit 16. Ein paar Institutionen kümmern sie um solche Leute, wenn sie überhaupt bereit sich, sich kümmern zu lassen. Der Rest schaut weg, will sich das Elend erst gar nicht antun. Das beginnt manchmal in der Familie, spätestens aber ist das Wegschauen in größeren Gemeinschaften gang und gäbe, geschweige denn von Städten und Kommunen. Und wer und wie viele gerade in Afrika verhungern, in Japan verstrahlt, in Mexico erschossen werden – die Frage ist doch die: Was gibt es heute zu essen und was kommt im Fernsehen? Mir fällt diese Aspirin-Werbung ein „Etwas weniger Schmerz in der Welt“ oder so ähnlich. Aber es scheint naiv zu sein zu sagen: Wenn jeder auf seinen Nachbarn aufpasst, sich um ihn kümmert, dann ist allen geholfen.

Dienstag, 22. November 2011

22. Novmeber 1967


So, Johnson hat es geschafft: jetzt sind mir alle drei unheimlich! Bisher war es ja nur Marie, Gesine blieb insgesamt etwas im Hintergrund und D.E. war Beiwerk. Heute geht es ausführlich um D.E. – ein wahrer Schatz, einer, der so gut wie alles weiß, der so gut wie alles bewerkstelligen kann, der ausgeglichen ist, nett, freundlich, nicht aufdringlich, spendabel und was weiß ich nicht alles. Sein einziges Manko: Er trinkt für 70 Dollar im Monat Alkohol – nun ja, das fällt mir jetzt auch nicht gerade schwer. Er ist quasi romanhaft, ein perfekter Mann mit perfekten Manieren und der ‚richtigen’ Einstellung. Da ist keine Macke. Entweder habe ich sämtliche Ironiesignale überlesen – glaube ich nicht – oder Gesine hat eine rosarote Brille auf – möglicherweise – oder Johnson will … ja was denn? Oder versucht Johnson mich an der Nase herumzuführen nach dem Motto: Glaub doch nicht alles, was geschrieben steht. Aber die Nachrichten aus der NYT, die hin und wieder so etwas wie ein Motto oder das Thema liefern, geben das nicht her. Und Gesine wird dadurch unheimlich, dass sie den Typ noch nicht geheiratet hat.

Montag, 21. November 2011

21. November 1967


Am 21. März 1933, Machtergreifung durch Hitler, ist Cresspahl wieder in Richmond. Gesine und Marie waren auch schon da, zusammen mit D.E., haben sich das Städtchen angeschaut und etwas phantasiert, was gewesen wäre, wenn Lisbeth mitgegangen wäre. Müßig meiner Meinung nach, darüber zu spekulieren. An Fakten findet sich. Cressphal stirbt 74-jährig und hat vorher schon die Schreinerei aufgegeben. Marie fasst den Eintrag treffend zusammen: „Ich fand Richmond nicht aufregend.“

Sonntag, 20. November 2011

20. November 1967


Die Einträge werden immer länger. Mysteriös heute, fast unglaubhaft. Marie erhält einen ominösen Anruf. Es geht um Karsch, der die beiden zur UNO eingeladen hatte (11. November). Man verlangt 2.000 Dollar für seine Freilassung und Marie nimmt die Sache ernst. D.E., der eigentlich schon geflogen sein sollte, besorgt das Geld, dann geht es vom Flughafen aus, wie in einem schlechten Film, durch die Stadt, von einem Hinweis zum anderen. Schließlich können sie das Geld übergeben und Karsch finden, der es am nächsten Tag durch Pompa zurückgeben lässt. Unglaubwürdige Räuberpistole, mit der ich gerade so gar nichts anzufangen weiß.