Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Samstag, 8. Oktober 2011

8. Oktober 1967


Geduld, Geduld – es klärt sich wohl alles. Sie besuchen Annie und Frederick Fleury mit ihren drei Kindern. Kennen gelernt haben sie sich durch Zufall. Annie wollte eine Freundin besuchen, die vor Gesine in der Wohnung lebte – jetzt sind sie gute Freundinnen. Mit Frederick dagegen läuft es nicht so gut. Er ist Romanist, verdient sogar Geld damit, aber zwischen ihm und Gesine läuft es nicht gut (wie überhaupt auch wohl in der Ehe), er hält sich sehr zurück, lässt sich nicht blicken. Eigenartige Stimmung dadurch, doch die beiden Frauen lassen es sich nicht anmerken und schmücken das Haus. Annie ist eine Freundin, die darauf besteht „von Nutzen zu sein“. Und an dieser Stelle sei mal www.phf.uni-rostock.de/institut/igerman/johnson/johnkomm/0/jahrestage.html gedankt für den Kommentar, den sie online gestellt haben. Sonst hätte ich die französische Stelle nicht verstanden.

Freitag, 7. Oktober 2011

7. Oktober 1967


Menno, Johnson macht es einem echt nicht einfach. Dauernd kommt irgendetwas, von dem man nicht weiß, ob man es schon mal gelesen hat, überlesen hat, vergessen hat oder vielleicht doch was Neues ist. Jetzt geht es nach Vermont. Ein Ausflug. Zu wem eigentlich, wo Marie die treibende Kraft ist, selbst das Auto aussucht, mit dem sie fahren – und es vor der Schule langsam fahren lässt, damit man sie mal mit Auto sieht. Immerhin eins hat sich geklärt. Das ‚Tagebuch’ von gestern ist ein Beschwerdebuch. Und Marie, die ja nun wirklich nicht doof ist: „Wenn sie ihr Beschwerdebuch gegen Cresphal verbrannt hat. Woher weißt du davon?“ Geschickt, geschickt. Antwort Gesine: „Sie hat ein neues angefangen. Es liegt zuhaus im Schließfach.“ Würde ich ja gerne mal lesen. Marie nicht. Sie wünscht sich, dass Gesine auch so was ähnliches über sie schreibt, sondern etwas „was ich erst später verstehe. Auch Beschwerden.“ Kluge Kind – aber da wissen wir ja schon. Und dann natürlich der Klassikerdialog im Anschluss „– Für wenn ich tot bin? – Ja. Für wenn du tot bist.“

6. Oktober 1967


Gesine erzählt weiter über ihre Mutter, über die Anfänge in Richmond. Lisbeth fühlt sich nicht wohl, bekommt mit Cresphal auch immer mal wieder Streit, der diese mehr oder weniger ausschweigt. Aber nach Deutschland werden Photos eines glücklichen Paares geschickt. Sie hat wohl ein geheimes Tagebuch oder ähnliches geführt, was sie aber dann verbrennt. Nein, so richtig glücklich scheint diese Ehe nicht anzugehen und die Kinder, Lisbeth will vier, wollen auch nicht kommen.

Mittwoch, 5. Oktober 2011

5. Oktober 1967

Heute gibt es „Phonopost“, will heißen, wir hören / lesen Gesine zum ersten Mal im Original. Sie spricht für D.E., ihrem Freund, auf ein Band, erzählt vor allem davon, dass Marie von der Geschichte ihrer Großeltern nicht genug bekommen kann und Gesine sich deswegen im „Institut zur Pflege Britischen Brauchtums“ kundig macht, da sie ihr Erzählen als „Knochenmann“ empfindet, den sie aber „mit Fleisch … nicht behängen“ kann. Ansonsten ein erster Querverweis, sie erwähnt das Abendessen mit Dmitir Wiszand vom 2. Oktober. Nur der Vollständigkeit halber, wer ihr schreiben will, hier die Adresse: Gesine Cresphal, Apartment 204, 243 Riverside Drive, New York, N.Y., Telefon: 213 – 749 28 57. Und noch ein letztes Zitat für heute von ihr: „Wie die Markenartikel uns überleben!“ Aber das scheint nur so, da bin ich mir sicher. Auch wenn es wie eine Prophezeiung sich anhört, es wird die Zeit kommen, wo man fragen wird „Appel? Was ist das?“

Dienstag, 4. Oktober 2011

4. Oktober 1967


Ja fein – geht’s noch aktueller? Einerseits macht sich Lisbeth Gedanken über die Löhne der Mitarbeiter ihres Mannes – er solle sie erhöhen, worauf er antwortet „Von deinem Küchengeld gib ihm, Lisbeth, und laß es die Konkurrenz nicht wissen.“ – und ist etwas erschrocken über eine Demonstration einer abgerissenen Masse von Männern, sprich Arbeitslosen, andererseits „müssen die U.S.A. Billionen Dollar haufenweise … aufwenden, wenn sie tatsächlich und ohne Ansehen der Rasse gegen die Armut im Land vorgehen wollen.“ Und damit beschreibt Johnson nicht nur nicht nur die damalige politische Situation, sondern, mit einem kleinen Wort, auch die heutige, weitgehenst egal in welchem Land. Denn diese „Billionen Dollar haufenweise“ werden an vielen Ecken und Enden gebraucht, siehe Afrika mit dem Hunger, siehe Griechenland, wenn auch vielleicht z.T. selbstverschuldet, siehe Harz IV, siehe Aids-Waisen in aller Welt … die Liste ist schier unendlich. Und dass der Zustand von 1967 quasi, wenn auch in anderen Farben getaucht, immer noch anhält, kennzeichnet Johnson meiner Meinung nach ganz einfach, ganz schlicht aber so was von treffend mit: „tatsächlich“. Nein, keine allgemeine Politiker-Schelte jetzt, das ist eh zu kurz gegriffen, und auch kein moralin-saures Gejammer, ich versuch es jedenfalls, aber der Weg von der Idee zum Tatsächlichen ist halt weiter als gedacht. Und das leben nicht nur Politiker.

Montag, 3. Oktober 2011

3. Oktober 1967


Emmy Creutz, Friedhofsgärtnerin zu Jerichow, schickt ihre jährliche Rechnung. 20 Mark für die Dauerpflege der drei Gräber. Die Eltern Gesines leben nicht mehr, auch nicht Jakob. By the way: Wer ist Jakob? Hab’ ich was überlesen? Und dann bittet Creutz noch um Erweiterung der „Sachleistungen“ – und ein vergessener Irrsinn kommt mir wieder in Erinnerung. Denn Creutz hätte gerne einen Herrenpullver mit Rollkragen, bügelfreies Oberhemd, Herrenanorak Größe 56 … . Das Zeugs geht also in die DDR und der Aufwand ist groß, da „die Deutsche Demokratische Republik nicht drei Kleidungsstücke in einer Sendung erlaubt“. Was war das immer nervenaufreibend, das Paket für die ‚Zone’ zu packen, wie meine Mutter es immer nannte. Ach ja, und der alte Cresphal scheint Bürgermeister gewesen zu sein. Wieder ein paar Puzzelstücke mehr.

Sonntag, 2. Oktober 2011

2. Oktober 1967


Gesine und Marie sind von Dmitri Weiszand ein ein tschechisches Lokal eingeladen. Keine große Freude für Marie. Und afü uch Gesine, so will es scheinen, ist es eher eine Pflicht. Man unterhält sich über Politisches aber sich derweil doch nicht darüber unterhaltend. Marie ist langweilig und da die beiden Erwachsenen einen gewissen Ausdruck nicht kennen, macht sie sich auf, um Erkundigungen einzuziehen. „Gott bringt dir Glück“ lautet dann die Übersetzung. Tja, noch so ein Splitter, mit dem ich vorerst nichts anzufangen weiß. Johnson macht es einem auch nicht gerade leicht mit den vielen Kleinteilen, die ich bisher im Hirn hin und her schiebe, ohne dass ein Teil zum anderen passen will. Aber es sind ja noch ein paar Monate.