Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Samstag, 10. Dezember 2011

10. Dezember 1967


Eine dieser ‚menschlichen’ Geschichten. August Methfessel, der Schlachter von Jerichow, besucht 1934 den abgesetzten Veterinär Semig, um sich über dessen Nachfolger Hausschildt zu beschweren. Der würde die notwendige Fleischbeschau auch gerne mal übers Telefon machen und nicht einmal die notwendigen Proben nehmen. Seming schreibt einen Brief darüber an das entsprechende Amt, Methfessel wird nochmals vorgeladen zur Klärung der Sachlage – und Hausschildt kommt nun zur Fleischbeschau und benutzt jetzt recht gerne den quadratischen Stempel für bedingte Tauglichkeit des Fleisches oder gar den dreieckigen für Untauglichkeit. „Also wurde eine Zeit lang wenig Fleisch von Rind und Schwein gegessen in Jerichow … [und] viele Hühner [kamen] früher ums Leben, als ihnen zugedacht war, und Kaninchen auch.“ Lisbeth ist übrigens jetzt Vegetarierin.

Freitag, 9. Dezember 2011

9. Dezember 1967

Lisbeth, die in England ja etwas Probleme mit der Kirche hatte, ist nun wieder voll dabei. Zudem hat sie sich mit der Frau von Pastor Brüshaver, Aggie Brüshaver, angefreundet. Aggie, ehemalige Diakonissin, ist wohl nicht die geborene Hausfrau und so greift Lisbeth ihr unter die Arme, zeigt ihr Kochen etc. pp. Als ‚Gegenleistung’ erfährt sie über Aggie, welche Probleme die Landeskirche mit dem „Österreicher“ hat und bekommt auch mit, dass Brüshaver „schwer“ verwarnt worden ist, da er noch immer nicht aus dem Pfarrernotbund ausgetreten ist, ein von Martin Niemöller ins Leben gerufene Bruderschaft, die der NS-Herrschaft Widerstand leistete. Cressphal ist es zufrieden, dass die beiden Frauen über Küche und Kinder sprechen.

Donnerstag, 8. Dezember 2011

8. Dezember 1967


Tonbandbrief von Gesine an Marie, wohl auf für „wenn ich tot bin“. Es sind alltägliche Betrachtungen von der Straße, aus dem Fahrstuhl. Kleine Hinterfragungen von Alltäglichem, wie man es manchmal macht, wenn man besonders wach, aufmerksam durch den Tag läuft.

Mittwoch, 7. Dezember 2011

7. Dezember 1967


Kurzer Eintrag. Ein Traum. Beliebig interpretierbar.

Dienstag, 6. Dezember 2011

6. Dezember 1967


Welche Wünsche hat Cresspahl für 1934? Das ist die heutige Frage – und die Antwortliste ist lang. Das Lisbeth nicht so rumzickt, von mir jetzt vereinfacht zusammengefasst, ist das erste; dass er von seinem Verdienst leben wird können und nicht, wie bis jetzt, von dem Ersparten; dass sein Schwager mit der Zigelei keinen Unsinn macht; dass er nicht recht hätte mit dem Krieg, den er fürchtet; dass es noch drei Kinder mehr werden, wie mit Lisbeth verabredet und: „Sicherheit für die Familie vor wirtschaftlicher Not, vor politischer Gefahr, vor Feuer und Blitzschlag“. Und was macht Cresspahl, was macht er? Er lässt sich doch tatsächlich einen Aufnahmeantrag für die Nazipartei geben!

Montag, 5. Dezember 2011

5. Dezember 1967


Cressphal richtet das Haus her, was seine Tochter von seinem Schwiegervater bekommen hat. Und in Jerichow zerreißen sie sich die Mäuler, weil sie nix wissen, aber meinen alles zu wissen. Also ist Cresspahl jetzt ein englischer Spion, oder nur einer, der englisches Radio hört. Wahlweise ist auch die Ehe am Ende, andererseits hat er für seine Frau angeblich einen sündhaftteuren Kühlschrank gekauft. Aber als Lisbeth in das Haus einzieht, verstummen die Gerüchte nicht, nur werden sie jetzt mit umgekehrten Vorzeichen kund getan. Hauptsache es ist geschwätzt.

Sonntag, 4. Dezember 2011

4. Dezember 1967


„Gestern habe ich das Sterben versucht“ so Gesine, die heute eindeutig spricht /  schreibt. Und was dann folgt, dass werfe ich ja jedem Schriftsteller als Schwäche vor, da kann der Name noch so berühmt sein oder nicht: ein Traum! Gesine träumt ihren eigene Tod, wobei sie jedoch handelnde Person bleibt und bei den Beerdigungsvorbereitungen hilft – Papiere ordnen, Sarg tragen etc. pp. Solche literarischen Stellen können mir komplett und ohne jeden Ersatz komplett gestohlen bleiben. Hier ist es vielleicht nicht so schlimm, aber Träume in literarischen Texten sind in meinen Augen ein Armutszeugnis, der Autor macht es sich damit nämlich total einfach, entweder eine neue Wendung aus dem nichts hervorzubringen oder die Person besser zu charakterisieren, was er sonst aus Schwäche nicht hinbekommt. Wer in der Literatur zum Traum greift, der beweist für mich nicht Phantasie, sondern gerade das Gegenteil, Phantasielosigkeit, wer zum Traum greift, der belegt, dass er nicht mehr weiter weiß. Der Traum in der Literatur ist die letzte Stufe vor dem Scheitern.