Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Samstag, 25. Februar 2012

25. Februar 1968


Wie Gesine englisch gelernt hat. Jedenfalls nicht bei den besten Lehrern.

Freitag, 24. Februar 2012

24. Februar 1968


Einzelne Erinnerungen (Erinnerungsfetzen) an Lisbeth. „Sie ging so leicht, ihre Schuhe wurden nicht älter. Ihre Kleider hörten alle am Knie auf, als sie nach Lübeck heiraten sollte.“ Aber einen Satz versteh ich absolut nicht: „Mit achtzehn war sie Schnittlauch auf allen Suppen.“ (Ich hab’ im Kommentar nachgeschaut, hat mich nicht in Ruhe gelassen, dort steht: „Norddt. Redewendung: auf allen Hochzeiten tanzen, oder: Hans Dampf in allen Gassen sein.“)

Donnerstag, 23. Februar 2012

23. Februar 1968


„Heute haben wir Francine verloren.“ Nach dem sie sich einigermaßen gut eingelebt hat und die beiden Mädchen Gesine während ihrer Krankheit versorgt haben, steht die Fürsorge vor der Tür. Die Mutter will sie wieder zurück. Wie sich herausstellt, weiß Francine das schon seit zwei Tagen. Sie geht erst jetzt, quasi unter Zwang mit. Und: Marie ist beängstigend!

Mittwoch, 22. Februar 2012

22. Februar 1968


Begräbnis: 10 Mark. Großes Glockengeläut: 6 Mark. Mitwirkung eines Kantors: 5 Mark. Reinigung Kirche: 5 Mark. Läutelohn für zwei Stunden: 30 Mark. Graben der Grube: 12 Mark. Schon 1938 hat man mit dem Tod Geld verdient, heute kommt man unter 1.500 Euro gar nicht weg. Lisbeth wird begraben. Die, die es kennen, brauch ich nicht zu berichten, die, die es nicht kennen, helfen keine Berichte. Brüshaver nimmt Psalm 38. Er segnet sie auch ein und gibt den Schlußsegen, der „auch nicht gewährt werden sollte. Nun hatte er es nicht nur mit der weltlichen Obrigkeit verdorben, sondern auch mit der Kirche.“ Danach Beileidskundgebungen – Gesine steht dabei, versteht nicht viel ist überfordert, obwohl sie die Mutter im offenen Sarg gesehen hat. Begreifen kann sie es noch nicht. Dann Leichenschmaus mit all der Gezwungenheit, Verlogenheit und Hilfe. Wer es schon mal mitgemacht hat, weiß das alles, fühlt es. Erinnerungen gehen da wenig verloren, wenn, dann werden sie verdrängt. Möchte mich gerade echt nicht erinnern. „Sie holten Büshaver in der Nacht, vier Stunden vor Morgen.“

Dienstag, 21. Februar 2012

21. Februar 1968

Es wird wohl lang werden heute. Cresspahl geht zu Pastor Brüshaver und will von ihm wissen, wie es war, als man Lisbeth fand, da er zu den Zeugen gehört. Er will alles ganz genau wissen, wie sie aussah, was sie an hatte, wer sie auf die Bahre legte. Er nimmt es ruhig auf, eher sachlich, eher als Bestätigung dessen, was er sich eh schon dachte, vorstellte. Brüshaver bietet ihm eine Beerdigung am Sonntag an, „Cresspahl sagte: Montag, um drei“ und holt den 39. Psalm aus der Tasche mit ausgestrichenen Sätzen. Und wünscht er sich vom Pastor, obwohl er weiß, dass das nicht üblich ist: Votum, Lektion, Gebet, Vaterunser, Einsegnung, Segen. „Das waren drei Handlungen mehr als die Meckelnburgische Landeskirche Selbstmördern gewährte.“ Und Brüshaver kommt in die Gewissenskonflikte. Seine Frau verlangt von ihm, Lisbeth schon am Sonntag, vor der Beerdigung also, in der Predigt zu berücksichtigen, was aber unüblich ist. Und wie soll ein Pastor einen Selbstmord rechtfertigen? Und da ist ja auch noch die tote Marie von den Unruhen – ein jüdisches Kind. Er geht zu den Eltern, bietet ihnen ein Begräbnis an, doch die lehnen ab und verlassen Jerichow, mit ihrem letzten Habe, verjagt von einer Stadt, die plötzlich keine Juden mehr haben will, die aufgehetzt wurde und die sich hat aufhetzen lassen. Die Todesanzeige erscheint: „Lisbeht Cresspahl ist aus dem Leben gegangen“, nicht ‚gerissen worden’ nicht ‚genommen worden’. Cresspahl zimmert bei einem Freund den Sarg für sie, als Brüshaver nochmals kommt. Er ist auf die Idee gekommen, es könnte ja doch kein Selbstmord sein, das behauptet bisher ja nur Jansen. Cresspahl bestätigt, auch wenn er damit den Verlust der Versicherungssumme für Werkstatt und Maschinen in Kauf nimmt. Aggie, Brüshavers Frau umsorgt ihn. Als sie ihm erzählt, dass alle wissen wollen, wann die Beerdigung ist und Frieda Klütz sich bis dahin ein neues schwarzes Kleid machen lassen will, platzt bei ihm der Knoten – und er schreibt, er schreibt eine Predigt, „die Grundlage des Urteils“ gegen ihn sein wird. Es ging die Bürger von Jerichow gar nichts an, wie sie gestorben war: „Sie sei zum Sterben so frei gewesen wie zum Leben, und wenn sie auch besser das Sterben ihm [Gott] überlassen hätte, so habe sie doch ein Opfer angeboten für ein anderes Leben, den Mord an sich selbst für den Mord an einem Kind [Marie].“ Aber die Bürger geht es etwas an, die „Gleichgültigkeit. Duldung. Gewinnsucht. Verrat.“ Und auch der „Egoismus eines Pfarrers, der gesehen habe nur auf die Verfolgung der eigenen Kirche“. Und der Eintrag endet mit: „Segen. Schlußchoral. Ende.“ Brüshaver ist also wach geworden, Cresspahl bleibt sich treu, zumindest zwei, die zu dem stehen, was ist, was war. Dem einen kostet es seine Versicherung, dem anderen wohl seine Freiheit. OK, es sind nur Figuren eines Romans, die konsequent handeln und man muss nicht unbedingt literarische Phantasie auf das reale Leben eins zu eins übertragen. Aber eine Scheibe könnte man sich schon abschneiden. Causa von zu Guttenberg, Causa Wulf – absolut nicht die beiden einzigen, die versucht haben einen Schein zu wahren. Vermutlicherweise handelt so gut wie jeder Steuerzahler wie die beiden, wenn es an die Steuererklärung geht. Aber ich will jetzt nicht moralisieren. Und was steht im 39. Psalm? Das hier in der Einheitsübersetzung: 2 Ich sagte: Ich will auf meine Wege achten, damit ich nicht sündige mit meiner Zunge. Ich lege meinem Mund einen Zaum an, solange der Frevler vor mir steht. 3 So blieb ich stumm und still; ich schwieg, vom Glück verlassen, doch mein Schmerz war aufgerührt. 4 Heiß wurde mir das Herz in der Brust, bei meinem Grübeln entbrannte ein Feuer; da musste ich reden: 5 Herr, tu mir mein Ende kund und die Zahl meiner Tage! Lass mich erkennen, wie sehr ich vergänglich bin! 6 Du machtest meine Tage nur eine Spanne lang, meine Lebenszeit ist vor dir wie ein Nichts. Ein Hauch nur ist jeder Mensch. [Sela] 7 Nur wie ein Schatten geht der Mensch einher, um ein Nichts macht er Lärm. Er rafft zusammen und weiß nicht, wer es einheimst. 8 Und nun, Herr, worauf soll ich hoffen? Auf dich allein will ich harren. 9 Entreiß mich allen, die mir Unrecht tun, und überlass mich nicht dem Spott der Toren! 10 Ich bin verstummt, ich tue den Mund nicht mehr auf. Denn so hast du es gefügt. 11 Nimm deine Plage weg von mir! Unter der Wucht deiner Hand vergehe ich. 12 Du strafst und züchtigst den Mann wegen seiner Schuld, du zerstörst seine Anmut wie Motten das Kleid, ein Hauch nur ist jeder Mensch. [Sela] 13 Hör mein Gebet, Herr, vernimm mein Schreien, schweig nicht zu meinen Tränen! Denn ich bin nur ein Gast bei dir, ein Fremdling wie all meine Väter. 14 Wende dein strafendes Auge ab von mir, sodass ich heiter blicken kann, bevor ich dahinfahre und nicht mehr da bin.

Montag, 20. Februar 2012

20. Februar 1968


Wirres Gespräch zwischen Marie und Gesine – ist auch vollkommen klar, denn Gesine liegt mit hohem Fieber im Bett und bekommt Vergangenheit und Gegenwart gerade nicht wirklich auf die Reihe. Recht skurril.

Sonntag, 19. Februar 2012

19. Februar 1968


„Cresspahl ging nicht suchen, er ging finden.“ Ein erschütternder Eintrag heute. So wie es aussieht – und ich interpretiere das mal so, als seien es die Gedanken von Cresspahl – hat Lisbeth das Feuer gelegt, um sich selbst zu töten. „… vielleicht wollte sie nicht schiefköpfig, mit gebrochenem Genick gesehen werden, von Niemanden.“ Grauenhafter Tod im Qualm zu ersticken. Lisbeth hat alles getan, dass man sie in der Kammer nicht findet, hat den Schlüssel versteckt, hat sich selber die Beine gebunden, dass sie nicht weglaufen kann. Hätte sie sich erhängt, „so hätte sie nicht drei Stunden gebraucht zum Sterben.“ Die Feuerwehr konnte kaum etwas ausrichten, das habe ich gestern vergessen zu erwähnen, weil die Pumpe kaputt gegangen war, als sie das Haus von Tannenbaum ‚löschten’ (siehe 14. Februar). Der Kriminaler Vick reist Cresspahl hinter her, der könnte ggf. noch eine besondere Rolle spielen.