Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Samstag, 3. Dezember 2011

3. Dezember 1967


Heute macht es sich Johnson ‚einfach’, er zitiert nur aus der NYT: Tod von Kardinal Francis J. Spellmann (knapp zwei Seiten), Verleger kämpfen um die Rechte an den Tagebüchern Che Guevaras (knappe halbe Seite), fatalistische Haltung des Hanoi-Regiems zum Krieg (knappe halbe Seite), letzte Fahrt des Zugs ‚Zwanzigstes Jahrhunder’ (knappe halbe Seite).

Freitag, 2. Dezember 2011

2. Dezember 1967

Winter 1933 ist kein günstiger Zeitpunkt für Einrichtung des Hauses in Jerichow. Mauern ist schwierig und so lebt Cresspahl wieder unter dem Dach von Papenbrock. Lisbeth und er erachten dieTrennung als gut, das Schlechte konnte vergessen werden, obwohl Lisbeth fürchterlich erschrak, als Cresspahl nachts ankam. Und ihm war es, als wollte sie nicht gleich mit ihm allein sein, als würde sie sich vor ihm fürchten. Papenbrock steckt in die Stadtplanung "mehr als einen Finger" rein und kommt mit den neuen Verordnungen der Nazis nicht wirklich zu recht. Aber so kommt er geschickt zu einer Gasleitung, um es seiner Tochter angenehm zu gestalten. Cresspahl fällt es nicht leicht, in Jerichow "schnell anzuwachsen". Es war nicht die Fremde, sondern ihm fehlt etwas, aber er kann es nicht wirklich benennen. Und einen Plan B hat er auch, denkte, dachte er: Notfalls will er mit Lisbeth und Gesine ins Ausland.

Donnerstag, 1. Dezember 2011

1. Dezember 1967


Impressionen nach dem gestrigen Schneesturm. Kasch schickt einen Blankoscheck für eine neue Telefonnummer nach dieser eigenartigen 'Entführungsnummer'. Die neue Nummer kostet aber nix. Andeutungen, dass er etwas mit der Mafia von Neu-England zu tun hat, er hat jedenfalls darüber geschrieben. Nach wie vor eine komische Räuberpistole, die gar nicht wirklich passen will.

Mittwoch, 30. November 2011

30. November 1967


Hätte ich nicht gedacht, Cresspahl geht zurück nach Jerichow, obwohl die politischen (Vor)Zeichen für einen Sozialdemokraten nun nicht günstig sind. Stellt sich einem, und das ist auch Thema, schon die Frage, ob man 1933 hätte wirklich ahnen können was kommt? Anders gefragt, kann man heute die Anzeichen richtig deuten, die in zehn oder 15 Jahren als wichtig, als ausschlaggebend erkannt werden?

Dienstag, 29. November 2011

29. November 1967

Gesine entspricht dem Wunsch Maries vom 7. Oktober und spricht ihr eine Phonopost „für wenn ich tot bin“. Und wie Marie gewünscht hat auch „was ich erst später verstehe“, denn als Leser ist man – mal wieder – leicht aufgeschmissen. Es geht um Gesines Aussprache, um Maries Unwille anfangs, in New York zu sein und – meiner Erinnerung nach zum aller ersten Mal – um Maries Vater. „Von deinem Vater weiß ich nur das Notwendigste.“ Er war Handballspieler, Sozialist, Untermieter und konnte gut mit Mädchen. Gerde mal mit Steuerung + F das Dokument durchsucht, ob ein Jakob vorkommt. Ja, am 3. Oktober, einer der schon auf dem Friedhof liegt. Denn heute kommt er wieder vor und, so meine Vermutung, es ist Maries Vater, auch Jöche genannt. Und noch was klärt sich, warum Gesine den phantastischen D.E. nicht heiratet: „Wenn ich mich auf einen Menschen einlasse, könnte sein Tod mich schmerzen. Ich will diesen Schmerz nicht noch einmal. Ich kann es mir also nicht leisten, ich auf jemanden einzulassen.“ Oh Gesine, was ist das denn? Was ist dass denn für eine Selbstbeschränkung? Nur weil möglicherweise etwas passieren könnte, versagst Du Dir vieles andere? Und bist du überhaupt ehrlich? Hast Du dich denn nicht schon längst auf D.E. eingelassen? Und was ist mir der Ausnahme Marie? Glaubst Du denn, dass sie nicht morgen verunglücken könnte? Nein, nein meine Liebe, Du bist inkonsequent, Du gibst etwas vor zu sein oder zu tun, was Du gar nicht leisten kannst und willst. Deine Toten in allen Ehren, wirklich, und ich weiß, wo von ich spreche, aber Dein Denken entspringt einer Angst, die gar nichts mit Verlust zu tun hat. Schau Dir das doch mal genauer an. Und wer meint, die Tagesnachrichten aus der NYT würden heute mal fehlen, der irrt. Gesine liest am Anfang aus der Zeitung vor.

Montag, 28. November 2011

28. November 1967


Heute gibt es, nach den üblichen Meldungen aus der NYT, einen Brief – aus Jerichow! Gesine hat dort nach der „Anzahl der jüdischen Kurgäste in den Jahren vor 1933“ angefragt. Die Antwort ist gut zweieinhalb Seiten lang und, wie ich finde zu erwarten, natürlich ohne Antwort. Johnson will hier die DDR aufzeigen und macht die Antwort halt länger, realistisch wäre die Passage aus dem hinteren Teil gewesen: „… dass einzelne statistische Daten … nicht an Privatpersonen ausgegeben werden …“ Das hätte gereicht. Aber so wird Gesine erstmal höflich, wenn auch sehr bestimmt darauf aufmerksam gemacht, dass sie als Bürgerin der Deutschen Demokratischen Republik unterlassen habe, sich vor 14 Jahren abzumelden und daher „nicht von den Pflichten eines Bürgers der Deutschen Demokratischen Republik entbunden [sei] … und daß Volk und Regierung … [erwartet], daß … [sie] im Sinne … [der] Verfassung für den Frieden und die Verständigung unter den Völkern und gegen die imperialistischen Kriegstreiber … [auftrete].“ Ansonsten lobt sich die DDR in diesem Schreiben vollmundig, preist ihre Errungenschaften an so dass man an das gelobte Land denken muss. Die gewünschten Daten werden auch aus Angst, man könnte Schindluder mit ihnen treiben um die DDR in Misskredikt zu bringen, verweigert. Der ‚souveräne Staat’ sieht auf jeden Fall anders aus – fragt sich natürlich, ob es so einen überhaupt gibt. Manchmal möchte ich echt nicht wissen, was ich alles von diesem Staat nicht weiß, denn das wäre / ist sicher nur erschreckend.

Sonntag, 27. November 2011

27. November 1967


Sommer 1933. Die ersten Flüchlinge treffen bei Cresspahl in Richmond ein. Sozialdemokraten wie er. Von „Konzentrationslagern“ wird gesprochen, aber Cresspahl will nichts wissen. Die Leute bleiben nur kurz bei ihm, nicht, weil er sie nicht haben wollte, es ist ungemütlich, keine Hand die kocht und aufräumt. Und Cresspahl ist auch nicht scharf auf längeren Besuch. Er hat sich nach einer Mrs. Trowbridge erkundigt und war erstaunt zu hören, dass sie ein Kind hat. Eine Verflossene von ihm? Und trägt er sich eigentlich mit dem Gedanken,  nach Deutschland zurückzukehren? Zwischen den Zeilen scheint es mir Andeutungen zu geben.