Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Samstag, 28. April 2012

28. April 1968

Steuerchaos in Jerichow. Die Leute sollen die Reichssteuern an Stalin zahlen, haben aber kein Geld, da der Tauschhandel herscht. Manche übergeben eine Bankvollmacht, aber der Zugriff auf die Konten ist gesperrt. Der Stadtkommandant will die Arbeitsgeräte pfänden - aber dann liegt die Arbeit erst recht brach.

Freitag, 27. April 2012

27. April 1968

Ferry-Tag. Aber vorher geht's auf ne Friedens-Demo.

Donnerstag, 26. April 2012

26. April 1968


Längerer Eintrag – aber daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen – über Cressphal und den russischen Stadtkommandanten K.A. Pontij. Ein sehr ambivalentes Verhältnis. Einerseits wird Cresspahl dauernd mit der Todesstrafe gedroht, wenn er nicht alle Befehle unverzüglich durchführt, andererseits wird Cresspahl abends auf Gelage eingeladen. Als ein „Rotarmist“ der kleine Gesine das „Fünfmarkstück aus Kaisers Zeiten, das Lisbeth Cresspahl im Oktober 1938 bei Uhren-Ahlreep hatte zu einer Brosche fassen lassen, aus Trotz gegen die Goldräuberei der Nazis“ vom Hals reißt – also stiehlt – geht Cresspahl von Pontij und macht ihm „gegen wie Uhr nachts den Unterschied zwischen Münze und Schmuck“ klar – zwei Tage später hat Gesine die Brosche wieder. Dauernd sieht sich Cresspahl der Gefahr ausgesetzt, wegen Beleidigung der russischen Armee an die Wand gestellt zu werden, beispielsweise als er auflistet, wer wann wo vergewaltigt wird. Da sind zwei Männer in ihren Rollen, mehr oder weniger freiwillig angenommen. Da sind zwei Männer, die ihre Pflicht tun / tun müssen. Und da sind zwei Männer, die, wenn sie weder ihre Rollen noch ihre Pflicht tun müssten, sich wohl uneingeschränkt verstehen würden. Starker Eintrag über die Ambivalenz von Rollen, von Personen. Und genauso stark, im Sinne von eindrucksvoll, zu Beginn, denn man begeht in New York den „Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto vor fünfundzwanzig Jahren“. Und mir ist selten ein einzelner Satz untergekommen, der so machtvoll Dimensionen veranschaulicht: „Mehr als vierzigtausend Männer, Frauen und Kinder starben nach vierzig Tagen Kämpfen gegen deutsche Truppen, und dreitausend Lebende standen gestern auf Bürgersteig und Verkehrsinsel …“.

(Gestern über die NZZ auf einen Link gestoßen, die New York Times – die übrigens immer weniger vorkommt – hat ein tumblr-blog eingerichtet und zeigt grandiose (!) Bilder aus ihrem Archiv. Wer gucken will: http://livelymorgue.tumblr.com/.)

Mittwoch, 25. April 2012

25. April 1968

Werdegang der Bank, Werdegang de Rosny.

Dienstag, 24. April 2012

24. April 1968

Die Russen lassen Cressphal weiter als Bürgermeister arbeiten. Sie bestimmen es einfach so, fragen ihn erst gar nicht. Das macht Cresspahl nicht beliebter, denn nun muss er dafür sorgen, dass die Befehle der Russen umgesetzt werden - Abgabe von Radios, Geld etc. - und daran ist natürlich er schuld, nicht die russen. Das ist mal wieder gut gemacht von Johnson, ohne Frage und zeigt mal wieder, dass ich mit Vereinfachungen natürlich einfach leben lässt. Komplexes Denken ist den meisten zu anstrengend, also ist eben "der" oder sind eben "die" schuld.

Montag, 23. April 2012

23. April 1968

Über den Arbeitsalltag von Gesine. Gerüchte, die über sie in der Bank im Umlauf sind - man kennt sie nicht gut, fragt sich, wer sie ist. Zu Beginn das Spiel mit den Perspektiven, wer spricht eigentlich? "Die Rollen trennen uns. Wie eine Elfjährige der Älteren Tee einschenkt. Wie Gesine sich zusammensucht zur Mrs. Cresspahl ... meine Mutter, fünfundreißig Jahre alt, das eine grau Haar inmitten der dunklen findet sie nicht." Ich muss mich auch jeden morgen "zusammensuchen".

Sonntag, 22. April 2012

22. April 1968


Berichte aus Jerichwo beim Wechsel von der britischen zur sowjetischen Besatzungsmacht. Immer noch bringen sich manche um, teilweise nur aus Schwermut. Keiner weiß, wie es weiter gehen soll, die Gerüchte wabern durch die Stadt, jeder meint etwas gehört zu haben, zu wissen. Eine Zeit der vollkommenen Unsicherheit und schätzungsweise eine, an der jeder erstmal an sich denkt, vielleicht sogar denken muss. An Flucht in den Westen ist nicht mehr zu denken, die Briten lassen keinen mehr raus. Aber wusste man damals schon, wie es weiter gehen würde. Ist die Frage, warum die nicht in den Westen sind, nicht einfach vollkommen ohne Sachverstand?