Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Samstag, 17. Dezember 2011

17. Dezember 1967


Zurück nach 1935. Zwei Dinge packt Cresspahl an. Erstens macht er sich einen Garten und  zweitens zieht er zusammen mit der Innung einen großen Auftrag für die Reichswehr ans Land. Jetzt hat er genug zu tun, muss Leute einstellen, kann Maschinen kaufen. Er hat viel zu tun, dass Lisbeth die Formulare beim Heeresbauamt holen muss. Will sie aber nicht. „Aber ich werd doch mitschuldig, Heinrich! – Woran wirst du mitschuldig. – Am Krieg! Die Kasernen sind doch für den Krieg.“ Aber nach England will sie auch nicht.

Freitag, 16. Dezember 2011

15. Dezember 1967


Ein wirklich schöner Text! Gesine und Marie werden in einer Limousine abgeholt, um beim Vizepräsident der Bank, bei der Gesine angestellt ist, zu Abend zu essen. Für Marie ein himmlisches Vergnügen in dem schicken Auto, in der schicken Villa, mit dem Diener, dem schicken Essen. Sie genießt es in vollen Zügen, freut sich über das Glas Wein, welches der Diener – zugleich auch der Chauffeur – ihr einschenkt. Sie genießt auch das Gespräch zwischen De Rosny und ihrer Mutter. Dummes Gör, denn sie kapiert nicht (OK, kann nicht kapieren), dass es hier nicht um ein Abendessen, sondern um eine Art Bewerbungsgespräch geht. De Rosny prüft jedenfalls Gesine nicht schlecht – und sie besteht. Das alles aus der Sicht von Gesine geschrieben, die sich in die Sichtweise von Marie einfühlt. Am Ende gibt es noch italienische Weihnachtsschnitzereien  „im Werte von sagen wir tausend Dollar“ und einen Ferienaufenthalt in Prag, damit das Tschechisch einfacher zu lernen ist. Grandios ist die Stelle, als die „Vernehmung“, wie Gesine das Gespräch bezeichnet, vorbei ist und Marie dem Vizepräsident der Bank eine Frage stellt: „Trifft es zu, daß die Kreditinstitute aus dem Krieg in Viet Nam Gewinne ziehen?“ und dann folgt ein klein wenig später ein wirklich schöner Satz: „Das Geld selbst spricht mit ihr, und das Geld sieht sie an aus festen und besorgten Blauaugen, während es ihr ins Gesicht spricht.“ OK, was dann kommt ist das übliche Geseiere – aber dann doch mit etwas mehr Substanz als dem von Westerwelle und seinen Kollegen.

Donnerstag, 15. Dezember 2011

15. Dezember 1967


Interessante Frage von Marie: „Ich werde jetzt mal nachsehen, woher du deine Vergangenheit hast.“ Es wird dann doch nicht so tiefsinnig, wie diese Aussage impliziert. Es entwickelt sich nämlich ein Spiel, in dem Marie überprüft, ob Gesine wirklich von ihrer Kindheit spricht, oder nicht Maries Kindheit als ihre ausgibt. Tut sie jedenfalls nicht. Und so erfahren wir, dass Gesine eher ein Papa-Kind war und es will auch den Anschein haben, dass Cresspahl für sie ein gutes Händchen hatte, im Gegensatz zu Lisbeth. Aber das ist ja oft so, dass die Töchter besser mit den Vätern und die Söhne besser mit den Müttern können. Und wir wissen nun, das beide im Alter von drei Jahren Zeitung gelesen haben – zumindest taten sie so. Aber die Frage, woher man seine Vergangenheit hat, ist schon spannend. Im ersten Moment ist das eine doofe Frage, man hat sie halt, will man antworten, aber vergleicht man ein Ereignis von, sagen wir mal, zehn Jahren mit anderen ab, die auch dabei waren, so erzählt jeder eine andere Geschichte, hat eine andere Vergangenheit. Man bastelt sich das schon arg zurecht, hat seine blinden Flecken, übertreibt, untertreibt, überhöht und verschönert. Das was war ist das, was man meint und nicht das, was war.

Mittwoch, 14. Dezember 2011

14. Dezember 1967


Ja, ja, ich weiß, ich bin heute extrem spät dran. Aber das ist heute so ein Tag, der ggf. eine Wendung „mit mir und meinem Schicksale“ herbeiführen könnte – oder eben auch nicht. Aber immerhin kann ich mir nicht vorwerfen, das Meinige nicht getan zu haben. Erinnert man sich an den 18. Oktober, als es um Fluchthilfe ging? Heute gibt es einen Brief an Anita, dass die Pässe wieder wohlbehalten zurückgekommen sind. Alles ist gut gelaufen. Wieder ein „Zionist“ weniger in der DDR. Aber Anita hat die Wohnung verloren. Deswegen? Ich könnte ja jetzt versuchen eine Verbindung zu schlagen, wenn das mit der Flucht – zumindest heute dokumentiert – geklappt hat, dann wird das mit mir auch klappen? *lach* Das ist Kaffeesatzleserei (wobei ich nicht verhele, mich würd’s freuen). Klipp und klar: Ich hab heute keinen Kopf für Gesine, für Anita, für Marie, für Johnson und all die anderen.  Und Weihnachten ist für mich noch eh so weit entfernt, dass mich Gesines Ausführungen auch gerade eher befremden.

Dienstag, 13. Dezember 2011

13. Dezember 1967


Cresspahl versucht sich zu recht zu finden, einzuleben. Er braucht auch Aufträge und stellt sich deswegen dem Innungsmeister Böttcher in Gneez vor. Der beäugt aber Cresspahl etwas argwöhnisch, war der doch in England gewesen und was man von so einem halten könne. Böttchers Sohn ist Jung-Nazi und aus irgendwelchen Gründen vertraut er sich Cresspahl an. Denn Klaus, so heißt der Sohn, will mit seinen Leuten eine Hütte abbauen, die die christliche Jugend gebaut hat. Und in der ist Heine Klaproth, der Lehrjunge von Cresspahl. Die Jungs bauen nachts wirklich die Hütte ab, Cresspahl beobachtet es – und hält den Mund. Das verschafft ihn dann Respekt, plötzlich wird er auf den Stammtisch der Tischlerinnung eingeladen. „Cresspahl hatte sich anfangs nur in guter Haltung in ein Leben in Deutschland schicken wollen. Nun hatte sich herausgestellt, daß es so schlimm nicht war.“ Echt nicht doof gemacht, verschiedene Wege der ‚Nazifizierung’ aufzuzeigen, der einfach überzeugte Nazi, weil er jetzt endlich mal was gilt, die Jungs, die quasi schon damit aufgewachsen sind und die durch die Jugendorganisationen fast kaum anders können, und die, die sich wehren oder zumindest Abstand halten wollen und dann doch hineingezogen werden. Ich bin gespannt.

Montag, 12. Dezember 2011

12. Dezember 1967


Weihnachten naht! So will es die NYT einem nahe bringen. Geht mir aber vollkommen ab. Francine, die ungeliebte ‚Freundin’, ist bei Marie zu Besuch und löchert sie, weil sie so eine Umgebung nicht kennt („Sind das alle deine Bücher? …). Als Gesine kommt, wird das Gespräch leiser und sie kann nichts mehr festhalten. Das Zimmer von Marie ist gesperrtes Gebiet, denn die Tochter arbeitet an einem Wunsch, von dem Gesine nicht weiß, dass sie ihn hat. Und Francine erledigt Begrüßung und Abschied in einem Aufwasch und ist dann auch schon wieder aus der Tür. „Sie hat getan, als hätte sie Angst vor mir Marie“ spricht Gesine ihre Tochter an. „Na klar hat sie Angst vor dir. Manchmal stellst du Fragen, Gesine … Fragen von einer Art, Gesine …!“ und ‚präzisiert’: „So meint es nicht Francine, sondern ich. Und wenn ich es meine, so meine ich es anders. Du wirst mich schon verstehen.“ Yeah, damit ist sie natürlich so vollkommen aus dem Schneider.

Sonntag, 11. Dezember 2011

11. Dezember 1967


Maries erste Freundschaften in New York ist das heutige Thema. Im Kindergarten hatte ihr es gleich Pamela Blumenroth angetan, aber da sehr stark auf „togetherness, Zusammenbefindlichkeit“ wert gelegt wird, muss sie sich mit „Mark dem Küsser“ abgeben, was sie aber nicht davon abhält sich heimlich mit Pamela zu treffen. Später gerät sie auch noch an Edmondo, einen Schwarzen, der gerne mal schlägt und ausrastet, doch Marie hat – wen wunderts bei diesem Mädchen – eine beruhigende Wirkung auf ihn. Bei einem Besuch lernt sich so auch das Ghetto der Schwarzen kennen und die ‚unkonventionelle’ Familienkonstellation. Edmondo besucht auch mal sie, aber auch nur einmal, denn danach sieht das Zimmer wie ein Schlachtfeld aus.