Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Samstag, 27. August 2011

27. August 1967

Bei fast jedem Eintrag bisher, werden zeitgeschichtliche Ereignisse notiert. Vietnam-Krieg, Morde, politische Ereignisse etc. Heute ein Potpourri aus Aussagen der Tochter Stalins, der die New York Times „acht volle Spalten, 184 Zoll“ widmet.
Töchter berühmter Väter sind a) nicht automatisch auch berühmt und b) nicht unbedingt acht Spalten wert. Ist heute immer noch so.

Freitag, 26. August 2011

26. August 1967

Sie haben eine Wohnung gefunden, für 124 Dollar im Monat. Tolerante Vermieter, alles bestens.
Man könnte aus den Beschreibungen von Johnson Bilder malen, denn er ist nicht nur genau sondern auch stimmungsvoll, wie „weißlicher Vormittag“ beispielsweise.

Donnerstag, 25. August 2011

25. August 1967

Gesine wartet auf Marie, die aus einem Ferienlager zurückkommt. Sie hat ihr eine Postkarte (!) mit der Ankunftszeit geschrieben. Marie hat nun, 6 Jahre später – was ist das hier für ein Gehopse zwischen den Zeiten! –, inzwischen die Lebensart angenommen, spricht besser Englisch als Gesine (und auch besser Spanisch), fühlt sich wohl und hat Freunde. Die 10-jährige haut solche Sätze raus wie „Meine Mutter denkt, dass die Neger gleiche Rechte haben, und da hört sie auf zu denken“ oder „Meine Mutter ist aus einer Kleinstadt an der Baltischen See, man muß sie das nicht fühlen lassen“.
Frage ich mich, was hat Gesine da großgezogen. Und ich vermute mal einfach, dass das Tochter-Mutter-Verhältnis nicht gerade als ‚ungetrübt’ bezeichnet werden kann bei einem so selbstbewussten und wie mir scheinen will frühreifen Kind.
Es wird übrigens bisher sehr distanziert berichtet, Stimmung kommt nur bei den Stadtbeschreibungen bisher auf: groß und bunt und irgendwie auch anonym. Ich meine fühlen zu können, Gesine und Marie sind einsam – aber der Text spricht, was Marie betrifft – eine andere Sprache.

Mittwoch, 24. August 2011

24. August 1967

Zurück in New York. Gesine sucht 1961 für sich und ihre Tochter Marie (jetzt wissen wir es) nach einer Wohnung. Schwer zu bekommen, denn teuer, „weil frei von Negern als Nachbarn.“ Marie weigert sich, die Stadt anzunehmen, sie liebt nur die Flugzeuge. Auch in einem Vorort ist nichts zu bekommen und Gesine versucht ihren für Marie überraschenden, lautstarken Abtritt bei einem Makler zu erklären, denn der Makler hätte „sie für eine Jüdin gehalten …, für einen besseren Menschen als eine Negerin“.

Dienstag, 23. August 2011

23. August 1969

Man wird sich erst noch daran gewöhnen müssen, dass Johnson nicht nur räumlich und zeitlich springt, sondern auch wohl den Erzähler wechselt.
Am Anfang wird von Cresphal – ohne Vornamen – erzählt, der 1931 in Travemünde in einer Gartenwirtschaft sitzt und Bier trinkt. Er lebt in England, ist vor fünf Tagen nach Deutschland gekommen, um seinen Schwester mit Martin Niebur zu verheiraten, hat seiner Mutter eine Rente ausgesetzt etc pp. „Hatte er sich losgekauft?“ wird gefragt, denn „Er hatte nicht vor, noch einmal zu kommen.“
Dann wechselt, unvermittelt, die Perspektive. Die Gartenwirtschaft ist die gleiche, doch nun übernimmt, wenn auch erst spät deutlich zu erkennen, Gesine das Wort. Sie spricht von ihrer Mutter, die zu diesem Zeitpunkt, 1931, 25 Jahre alt ist. Es wird deutlich, dass Cresphal ein Auge auf sie geworfen hat, er erkundigt sich beim Kellner – „gute Familie“ – und ‚verfolgt’ sie bis auf die Fähre und weiter. In Jerchiow nimmt er sich ein Hotelzimmer und lässt die Fähre nach England ohne ihn fahren.
 „Was fand Cresphal an meiner Mutter?“ wird gefragt und die namenlose Mutter antwortet: „Ich war hübsch Gesine, und er sah doch eher aus wie ein Arbeiter“.
Vielleicht sollte ich eine Liste mit Namen und Stichworten anlegen? Keine Ahnung, ob Martin Niebur nochmal wichtig ist oder der Großvater, der Albert heißt. Noch habe ich den Überblick.
Nur um das festzuhalen: Wir schreiben das Jahr 2011, lesen ein Buch von 1970, welches 1969 spielt und eine Szene aus dem Jahre 1931 beschreibt.

Montag, 22. August 2011

22. August 1967

Gesine Crespahl – so heißt sie (oder lässt sich zumindest so nennen). Namen tun gut. Sie kauft sich jeden Morgen die New York Times (NYT) und liest sie über den Tag verteilt wohl komplett durch. Und wenn sie mal auf Reisen ist, dann lässt sie sie sich aufheben und arbeitet sie an Wochenenden nach. Mit der NYT ist sie zugange wie mit einer „Person“, einer Art „Tante“, die ihr als Gesprächspartner dient.
Ist geschickt gemacht von Johnson, einen Teil dieser Informationen eher durch die Augen des Zeitungsverkäufers sehen zu lassen, um dann unmerklich als auktorialer Erzähler mit ihr in die U-Bahn zu steigen, um sie weiter beobachten zu können.
Gesine – ich werde sie beim Vornamen nennen – macht einen ruhigen, höflichen Eindruck. Sie scheint sehr zurückgezogen zu leben, scheint keinen großen Freundeskreis zu haben, anders kann ich mir die Liebe zur NYT erst mal nicht erklären, die sie wie eine Süchtige braucht und dafür auch schon mal länger läuft

Sonntag, 21. August 2011

21. August 1967

Es beginnt mit vielen Fragezeichen. Nach den ersten Zeilen lässt sich kaum etwas verorten und festmachen. Eine Menge Anspielungen, darunter auf Prag, auf Jerchiow. ‚Sie’ bleibt vorerst namenlos, aber man bekommt immerhin ein paar harte Fakten mit: 34 Jahre alt, hat ein fast 10-jähriges Kind (Sohn?, Tochter?), lebt seit sechs Jahren in New York und arbeitet – als was? - seit 1964 in einer Bank. Sie hat einen amerikanischen Pass, benutzt aber den Namen nicht. „Ich stelle mir vor“ heißt es mehrfach im Text. Ein Erzähler also, der sich ihr annähert. Aber woher hat er all die Informationen? Woher weiß er, dass sie eine 3-Zimmer-Wohnung bewohnt und all das andere?
Erst mal weiterlesen und sammeln, verbinden.