Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Samstag, 3. März 2012

3. März 1968

Liebesbrief von D.E. an Gesine, etwas arg intellektuell, aber immerhin mit Hand. Gibts heute wohl so gut wie nicht mehr. Ein paar wenige habe ich auch geschrieben - aber ich glaube nicht, dass die wirklich gut waren. Ein paar ganz wenige habe ich bekommen - irgendwie war ich immer mit Männern zusammen, die es nicht so mit dem Schreiben hatten.

Freitag, 2. März 2012

2. März 1968

Das schöne ist, wenn man so naiv liest, wie ich, dass es immer wieder Überraschungen gibt. Man hätte, also ich, wirklich darauf kommen könnnen, denn Cresspahl hat sich in den letzten Wochen ja schon etwas eigen verhalten und ich mich ja oft genug gefragt, warum er das überhaupt macht, bei all den Möglichkeiten, die er dann doch hatte. Gesine lässt heute jedenfalls die Katze aus dem Sacke, auch wenn Marie es erstmal nicht so toll findet. Kurz: Cresspahl steht im Diensten der Briten. Nicht wirklich freiwillig, denn er hat etwas zuviel Geld auf einem verbotenen Auslandskonto, aber so richtig schwer war es wohl nicht ihn zu überreden. Das erklärt echt einiges.

Donnerstag, 1. März 2012

1. März 1968


Pastor Brüshaver wird wohl nicht mehr zurückkehren. Derzeit sitzt er in einem Konzentrationslager. Seine Frau Aggie hat Jerichow nun auch verlassen, obwohl man sie durchaus unterstützt hat, unendgeldlich Lebensmittel vorbeibrachte etc. Aber – und das ist eine Hammerbegründung von Johnson – „Aggie merkte … dass die Jerichower es lästig fanden, auf die Dauer zu ihr und Brüshaver zu halten.“ Und dieser Satz funktioniert nur so dermaßen gut wegen dem „auf die Dauer“. Und daran hat sich nichts geändert. (Siehe Seite 4 der aktuellen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung.) Der neue Pastor - Wallschläger mit Namen – kommt überhaupt nicht an. Hilterfreund und eigenwilliger Ausleger der Bibel wird er weder groß geachtet noch geschätzt. Und als er meint, dem Gesellen Cresspahls, Alwin Paap, ins Gewissen reden zu müssen, dass er nicht mehr seine Freundin Inge Schlegel mit hoch ins Giebelzimmer nimmt, setzt ihn Cresspahl freundlich, aber bestimmt, einfach vor die Tür.

Mittwoch, 29. Februar 2012

29. Februar 1968


Langer Eintrag. Es geht um die Kritik, die Hans Magnus Enzensberger an Amerika übt, um die Berechtigung, ob er es darf, inwieweit seine Argumente treffend sind. Dass, was mir am meisten auffällt: Es scheint, wenn sich vor 51 Jahre ein Intellektueller zu Wort gemeldet hat, dann wurde es diskutiert, meinetwegen auch kontrovers. Meldet sich heute einer der wenigen Intellektuellen zu Wort, so findet man eine 4-Zeilen-Meldung im Feuilleton. Und! Heute wird kurz Klaus Harprecht erwähnt. Und den kenne ich persönlich. *stolz* (Will heißen, ich hatte mal ein Seminar bei ihm und einmal sind wir danach in einer Gruppe was trinken gegangen.)

Dienstag, 28. Februar 2012

28. Februar 1968

Mrs. Ferwalter ist heute Thema. Jüdin aus der Slowakei, war im Konzentrationslager, bevor es über Israel nach Amerika ging. Jetzt spricht sie mehrere Sprachen, aber keine richtig. Und sie ist ein kleines Phänomen, denn ob der deutsche Staatspräsident Baulpläne für Konzentrationslager unterzeichnet habe oder nicht, interssiert sie nicht, denn die Deutschen konnten ja nix dafür. Andererseits hat sie es schon sehr beargwöhnt, dass Gesine eine schwarzes Kind zu sich genommen hatte und erwartet wiederum auch europäische Geburtstagsgepflogenheiten. Mir scheint sie eine Frau zu sein, die aufgrund der Biographie letztendlich furchtbar entwurzelt ist und sich eine Realität zurechtzimmert, mit der sie es aushalten kann. Dass sie an Gesine einen Narren gefressen hat, merkt man daran, dass sie sich etwas in die Beziehung einmischt und Gesine bittet, D.E. nicht zu verlassen, wo Gesine jetzt doch ein Verhältnis mit einem hohen Präsidenten der Bank hat. Das hat ihr dieser omninöse Dmitir Weiszand gesteckt, der seit drei Monaten sehr freundlich zu ihr ist. Schlußdialog: "Ich mag dich nämlich gern, du Deutsche. Kannt due es verstehen? -- Nein, Mrs. Ferwalter. Aber es soll uns recht sein, und wir erwidern es."

Montag, 27. Februar 2012

27. Februar 1968


Ende Dezember ist Cresspahl wieder in Jerichow. Wo er in der Zwischenzeit war? Selbst Gesine weiß es nicht wirklich. Sie vermutet, dass er einen Platz für die Auswanderung gesucht hat. Aber warum dann zurückgekommen sei, will Marie wissen. „Vielleicht hat Cresspahl aufgegeben“ mutmaßt Gesine. „Traust du ihm das zu?“ und die Antwort: „Noch nicht.“ Mich wundert’s auch, denn was will er noch groß in Jerichow, Frau tot, Werkstatt kaputt, keine wirklichen Bindungen. Und, so wach scheint er doch zu sein, nun eine Möglichkeit das Land zu verlassen.

Sonntag, 26. Februar 2012

26. Februar 1968


Marie will wissen, wie es in der Woche nach der Reichskristallnacht war. Da war Cresspahl noch in Jerichow. Er lässt die verbrannte Scheune abtragen und ist für niemanden zu sprechen. Auch Gesine wird nicht gesichtet, bleibt bei ihm und nicht bei den Großeltern. Derweil werden in Jerichwo und Gneez Feierlichkeiten abgehalten, Vereidigungen, etc. Man vergleicht, wo es festlicher etc. war. Brüshaver ist noch immer nicht zurück, keiner weiß, ob er am Sonntag auf der Kanzel stehen wird. Ich glaube ja eher nicht. Die Bevölkerung ist – ja nun was? Gefangen? Gleichgeschaltet? Euphorisiert? Eingeschüchtert? Die letzten beiden Sätze des heutigen Eintrages – wenig überraschend meiner Meinung nach: „Es war also nur anzunehmen, daß Cresspahl am Morgen des Sonnabend aus Jerichow weggegangen war. Mit dem Kind.“