Es wird wohl lang werden heute. Cresspahl geht zu Pastor Brüshaver und will von ihm wissen, wie es war, als man Lisbeth fand, da er zu den Zeugen gehört. Er will alles ganz genau wissen, wie sie aussah, was sie an hatte, wer sie auf die Bahre legte. Er nimmt es ruhig auf, eher sachlich, eher als Bestätigung dessen, was er sich eh schon dachte, vorstellte. Brüshaver bietet ihm eine Beerdigung am Sonntag an, „Cresspahl sagte: Montag, um drei“ und holt den 39. Psalm aus der Tasche mit ausgestrichenen Sätzen. Und wünscht er sich vom Pastor, obwohl er weiß, dass das nicht üblich ist: Votum, Lektion, Gebet, Vaterunser, Einsegnung, Segen. „Das waren drei Handlungen mehr als die Meckelnburgische Landeskirche Selbstmördern gewährte.“ Und Brüshaver kommt in die Gewissenskonflikte. Seine Frau verlangt von ihm, Lisbeth schon am Sonntag, vor der Beerdigung also, in der Predigt zu berücksichtigen, was aber unüblich ist. Und wie soll ein Pastor einen Selbstmord rechtfertigen? Und da ist ja auch noch die tote Marie von den Unruhen – ein jüdisches Kind. Er geht zu den Eltern, bietet ihnen ein Begräbnis an, doch die lehnen ab und verlassen Jerichow, mit ihrem letzten Habe, verjagt von einer Stadt, die plötzlich keine Juden mehr haben will, die aufgehetzt wurde und die sich hat aufhetzen lassen. Die Todesanzeige erscheint: „Lisbeht Cresspahl ist aus dem Leben gegangen“, nicht ‚gerissen worden’ nicht ‚genommen worden’. Cresspahl zimmert bei einem Freund den Sarg für sie, als Brüshaver nochmals kommt. Er ist auf die Idee gekommen, es könnte ja doch kein Selbstmord sein, das behauptet bisher ja nur Jansen. Cresspahl bestätigt, auch wenn er damit den Verlust der Versicherungssumme für Werkstatt und Maschinen in Kauf nimmt. Aggie, Brüshavers Frau umsorgt ihn. Als sie ihm erzählt, dass alle wissen wollen, wann die Beerdigung ist und Frieda Klütz sich bis dahin ein neues schwarzes Kleid machen lassen will, platzt bei ihm der Knoten – und er schreibt, er schreibt eine Predigt, „die Grundlage des Urteils“ gegen ihn sein wird. Es ging die Bürger von Jerichow gar nichts an, wie sie gestorben war: „Sie sei zum Sterben so frei gewesen wie zum Leben, und wenn sie auch besser das Sterben ihm [Gott] überlassen hätte, so habe sie doch ein Opfer angeboten für ein anderes Leben, den Mord an sich selbst für den Mord an einem Kind [Marie].“ Aber die Bürger geht es etwas an, die „Gleichgültigkeit. Duldung. Gewinnsucht. Verrat.“ Und auch der „Egoismus eines Pfarrers, der gesehen habe nur auf die Verfolgung der eigenen Kirche“. Und der Eintrag endet mit: „Segen. Schlußchoral. Ende.“ Brüshaver ist also wach geworden, Cresspahl bleibt sich treu, zumindest zwei, die zu dem stehen, was ist, was war. Dem einen kostet es seine Versicherung, dem anderen wohl seine Freiheit. OK, es sind nur Figuren eines Romans, die konsequent handeln und man muss nicht unbedingt literarische Phantasie auf das reale Leben eins zu eins übertragen. Aber eine Scheibe könnte man sich schon abschneiden. Causa von zu Guttenberg, Causa Wulf – absolut nicht die beiden einzigen, die versucht haben einen Schein zu wahren. Vermutlicherweise handelt so gut wie jeder Steuerzahler wie die beiden, wenn es an die Steuererklärung geht. Aber ich will jetzt nicht moralisieren. Und was steht im 39. Psalm? Das hier in der Einheitsübersetzung: 2 Ich sagte: Ich will auf meine Wege achten, damit ich nicht sündige mit meiner Zunge. Ich lege meinem Mund einen Zaum an, solange der Frevler vor mir steht. 3 So blieb ich stumm und still; ich schwieg, vom Glück verlassen, doch mein Schmerz war aufgerührt. 4 Heiß wurde mir das Herz in der Brust, bei meinem Grübeln entbrannte ein Feuer; da musste ich reden: 5 Herr, tu mir mein Ende kund und die Zahl meiner Tage! Lass mich erkennen, wie sehr ich vergänglich bin! 6 Du machtest meine Tage nur eine Spanne lang, meine Lebenszeit ist vor dir wie ein Nichts. Ein Hauch nur ist jeder Mensch. [Sela] 7 Nur wie ein Schatten geht der Mensch einher, um ein Nichts macht er Lärm. Er rafft zusammen und weiß nicht, wer es einheimst. 8 Und nun, Herr, worauf soll ich hoffen? Auf dich allein will ich harren. 9 Entreiß mich allen, die mir Unrecht tun, und überlass mich nicht dem Spott der Toren! 10 Ich bin verstummt, ich tue den Mund nicht mehr auf. Denn so hast du es gefügt. 11 Nimm deine Plage weg von mir! Unter der Wucht deiner Hand vergehe ich. 12 Du strafst und züchtigst den Mann wegen seiner Schuld, du zerstörst seine Anmut wie Motten das Kleid, ein Hauch nur ist jeder Mensch. [Sela] 13 Hör mein Gebet, Herr, vernimm mein Schreien, schweig nicht zu meinen Tränen! Denn ich bin nur ein Gast bei dir, ein Fremdling wie all meine Väter. 14 Wende dein strafendes Auge ab von mir, sodass ich heiter blicken kann, bevor ich dahinfahre und nicht mehr da bin.
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