Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Montag, 19. Dezember 2011

19. Dezember 1967


Der erste Satz lautet: „Oh, was kann die New York Times schimpfen!“ Das Gleiche kann ich, ohne die Überraschung in der Stimme, auch über meinen Chef sagen. Ne gute Stunde am Stück musste eine Kollegin und ich uns etwas anhören – und es wollte einfach nicht enden. Na, immerhin mal einen direkten Bezug zu den „Jahrestagen“. Ansonsten Beschreibung der vorweihnachtlichen Stimmung, alle sind gut drauf, alle meinen es ehrlich. Das kenne ich manchmal auch – dieses Jahr ist es allerdings noch nicht eingetreten. Aber ich erinnere mich gut an diese Tage, wenn alle und jeder mit mehr Freundlichkeit, Rücksicht auftritt, alles eher locker nimmt, nicht so verkrampft ist. Und nur deswegen, weil Weihnachten ist? Die letzten Zuckungen und Auswirkungen eines christlichen Festes, das an Bedeutung massiv verloren hat? Oder liegt es an den kollektiven freien Tagen? Oder an dem Bewusstsein, spätestens am 1. Weihnachtsfeiertag gibt es in der Familie wieder Zoff, weil man es nicht gewohnt ist, so lange auf einem Haufen zu sitzen? Ich habe mir jedenfalls vorgenommen weder ‚besinnliche’ oder ‚frohe’ Weihnachten zu wünschen, sondern nur ‚gesegnete’. Sollen die Leute doch gucken und sich überlegen, ob ich soo christlich bin, aber meiner Meinung nach sollten Feiertage, ob kirchlich oder weltlich, für das genutzt werden, weswegen man frei hat. In dem Fall heißt das an Weihnachten drei mal Kirche – aber wer macht das schon? Also komplett abschaffen. Ich hasse es einfach, wenn-man-so-tut-als-ob oder auf dem Rücken von den wenigen echten Kirchgängern in diesem Fall, drei Tage faul in der Gegend rumhängt und nichts Gescheites anstellt. Dass jetzt der Einzelhandel aufschreien würde, wenn er das hier lesen würde, weiß ich – aber diese jährliche Vermeldung, man hätte im Weihnachtsgeschäft noch mehr Umsatz gemacht als im letzten Jahr ist doch nichts anders als eine Teufelsspirale. Zurück zu Johnson. Der Satz muss jetzt noch sein: „Der Mann gibt sich säuerlich, oder seine bleiche Gesichtsfarbe macht ihn dazu, weil sie schon am frühen Nachmittag von schwärzlichen Bartwuchs verpetzt wird.“ Oh, könne ich nur einmal so einen Satz schreiben! Es ist übrigens der Käsehändler, der nach zwei Jahren Bekanntschaft zum ersten Mal das Wort an Gesine richtet. Ob das ihr Kind sein, ob sie verheirat sei? Gesine: „Die Antwort ist positiv“, der „So. Nun ja. Das wäre das.“ Nun noch ein Satz in eigener Sache: Der erste von vier Bänden ist hiermit gelesen!

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