Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Dienstag, 31. Januar 2012

31. Januar 1968

Wieder so ein kleines Meisterstück von Johnson. Portrait von Friedrich Jansen, der ab 1938 für fünf Jahre Bürgermeister von Jerchiow gewesen ist. Ei-gentlich könnte ich es sehr sehr kurz machen, in dem ich zitiere: „Bei diesem [Jansen] dachte Cresspahl nicht einmal darüber nach, warum der ihm zuwider war.“ Jansen ist so ein Aufsteiger, einer, der 1933 mit Knapper Not dem Hunger entkommen ist, sich dann der Partei anschloss und – wie nun auch immer – Karriere machte. Duckmäuserei? Anschleimerei? (Warum muss ich gerade an die FDP denken?) Jetzt ist er eben Bürgermeister und hat von Tuten und Blasen keine Ahnung. Nur die Mitarbeiter im Rathaus halten den Laden aufrecht, „noch lief es“. Er hat Geltungsdrang – und Pech. Weder bekommt er das Haus von Semig noch dessen Hund, den Cresspahl erst in Obhut hat, bevor er ihn dann doch weggeben muss. Er logiert nun in einer Villa, und weiß nicht, welchen Klotz er sich ans Bein gebunden hat. Johnson zeichnet, mit Verlaub, ein eitles Arschloch – ah, vielleicht daher die Assozia-tion zur FDP? – und gibt ihm auch so einen Körper. Macht man gerne in der Literatur, Inhalt und Form quasi gleich zu setzen. Schon mal aufgefallen, dass wenn die Liebe blüht immer die Sonne in der Literatur scheint und wenn sich das Paar trennt es stürmt und schneit oder zumindest regnet und dunkel ist? Ich werde gleich die Beschreibung zitieren, frage mich aber, ob es sich Johnson da nicht zu einfach macht, ein hässlicher Charakter in einem hässlichen Körper. Sind die ‚Verführer’ – und das meine ich jetzt nicht nur in sexueller Hinsicht – nicht of die schöneren, eleganteren, wohlgefälligeren? (Womit meine Assoziationen von der FDP zur CSU wandern – ich sage nur mal Carl Theodor.) Oder anders gesagt: Ein Arschloch kann auch richtig Klasse aus-sehen. Mir gefällt die Beschreibung von Johnson ungemein, keine Frage – aber ich finde es in diesem Zusammenhang dann doch etwas einfach. Hier ist sie: „Er [Cresspahl] hätte den [Jansen] als Schwein beschrieben. Nicht im deutschen Sinn des Wortes, schlicht wegen seiner Ähnlichkeit. Da war Jansens rosige Länge, obendrein weißlich behaart, die schweren Schenkel, nicht wuchtig sondern wabbelig, die massigen Arme, ansehnlich auf den ersten blick, weichmusklig auf den zweiten, und am ganzen Leibe das zarte ängstliche Fett, angesammelt in sechsunddreißig Jahren ohne handfeste Arbeit.“ Das „zart ängstliche Fett“ – wie geil ist das denn!

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