„Justiz in Mecklenburg während des
Nazikrieges.“ Den Rest der viereinhalb Seiten mit Beispielen kann man sich ja
wohl denken. Darunter auch der Eintrag. “Wilhelm Schröder … sagte … Was du glaubst
heute noch an den Sieg?“ Zwei Jahre hat er dafür bekommen. Martha Baranowska
hat für die gleiche Äußerung Ravensbrück bekommen, über vier Jahre.
Ravensbrück, das war ein Frauen-KZ und Martha habe ich in meinen jungen Jahren
oft in Polen besucht. Sie war „meine polnische Mutter“ und die Gespräche mit
ihr bei ‚ner Flasche Cointreau gehören zu den wichtigsten in meinem Leben. Man
sitzt nicht gerade oft einem KZ-Häftling gegenüber, der von Angesicht zu
Angesicht aus der KZ-Zeit berichtet – mit einer ‚schonungslosen Distanz’, wie
ich das nennen will. Ich bin auch mal auf der Rückfahrt von Polen über
Ravensbrück gefahren. Ich glaube, ich war ganz froh, dass es an dem Tag
geschlossen hatte. Denn aus den Erzählungen von Martha – und ich bin ja so
froh, dass ich fünf abendliche Gespräche auf Casette aufgenommen habe – wäre
mir das als ein Nachgeborener des Tätervolkes mehr als unerträglich gewesen und
wäre dann immer noch nur ein leichter Schatten, wenn überhaupt, von dem gewesen,
was sie und ihre „Mädchen“ erleben mussten. Und es gibt so skurrile Dinger
dann. Die Freundin von Franz Kafka, Milena, war auch in Ravensbrück und Martha
hat sie kennen gelernt. Und als Kafka-Fan ist es dann eigenartig jemanden zu
kennen, die Milena kannte. Man ist quasi im ersten Moment stolz darauf – und im
zweiten schämt man sich dafür wieder, denn mit was war diese Begegnung
eigentlich erkauft worden? Über Martha könnte ich zwar keinen Roman schreiben,
aber Seiten von Erinnerungen. Wie wir zusammen saßen im Wohnzimmer, die
Haushaltshilfe das warme Gebäck brachte, sie den Cointreau köpfte – nach dem
ersten Besuch war ich so klug, immer eine zweite Falsche dabei zu haben, die
ich ihr beim Abschied dann gab – und mich schief anschaute und meinte: „Ich hab
seit 40 Jahren nicht mehr geraucht – aber kannst Du mir gerade mal eine drehen?“ Oder wie wir bei
ihrem ältesten Sohn war und sie uns alle unter den Tisch getrunken hat? Oder
als wir im Gespräch eine Nacht durchmachten, ich total fertig war und sie mal
noch so nebenbei ihren behinderten Mann pflegte, den Haushalt schmiss … . Es
sind heute zwei Zeilen, die eine Flut von Erinnerungen auslösen. Und da passt
der Satz von Marcel Proust mal wieder wie die Faust aufs Auge: „Der Leser ist
der Leser seiner selbst.“
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