Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Dienstag, 1. Mai 2012

1. Mai 1968


Mal wieder ein starker Eintrag. „Elf Länder hat der Bund von Westdeutschland, und in sieben von ihnen sind die Neuen Nazis bereits vertreten.“ Da haben wir es augenblicklich ja richtig gut. Interessant ist natürlich das „bereits“ in dem Satz. Die NYT übrigens führt den Erfolg der Neuen Nazis auf die Studentenunruhen zurück, da diese „Neue Gewalt und Strenge“ versprechen. So hab ich das noch nicht gesehen – aber es passt. Dann ein Gespräch zwischen Marie und Gesine. Die Kleine verteidigt in studentischen Unruhen in New York, während Gesine recht uninteressiert wirkt und vor allem recht konservativ. Das ist ein ganz neuer Zug an ihr. Und Marie schlägt sich in der Diskussion für so ein junges Mädchen enorm tapfer – frühreif wie sie ist. „Ist es nicht revolutionär“ fragt Marie, „wenn man für etwas kämpft zu anderer Leute Vorteil?“ Gesine: „Es ist nicht eben egoistisch. Ist es revolutionär, wenn dann die erste Forderung lautet nach nichts als Amnestie?“ Johnson macht mit diesem Eintrag einen wirklich großen Topf auf. Hätte man nicht vieles schon vor Jahren wissen müssen / können / sollen? Stuttgart 21 hat man ja auch nicht erst letztes Jahr aus der Schublade geholt, warum so spät der Protest, weil man sich „verspätet“ oder weil sich die Welt ein paar mal gedreht hat? Spannender Dialog zwischen einer Idealistin = Marie und einer Abgeklärten = Gesine. Beide haben recht und doch nicht.

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