Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Freitag, 28. Oktober 2011

28. Oktober 1967


Tag der South Ferry. Johnson nimmt uns aber nicht mit diesmal. Er reflektiert in Gestalt von Gesine über, ja über was genau denn, es sind nicht nur die Worte mit ihrer semantischen Bedeutung. Schwierig, schwierig heute. Es geht auch nicht um die Umwidmung der semantischen Bedeutung, vielmehr um das damit konnotierte. Das Wort, die Bezeichnung „der Jude“ ‚klang’ vor 1939 anders, als „der Jude“ während dieser Zeit und „die Juden“ danach. Im Text heißt es dann allgemein: „Sie waren keine Worte, nur Behältnisse, tönende, für Inhalte, die nicht zu ihnen gehörten, die in sich gemischt waren und als undeutliche Masse zwischen Buchstabenwänden umherkrochen, sich ausdehnend, ballend, weich, wabernd, nicht fassbar.“ Er versucht herauszuarbeiten, wie es funktioniert, wenn im Begriff schon ein Urteil mitgesprochen, mitbegriffen wird, dass im Begriff selbst gar nicht enthalten ist (so verstehe ich den Text heute wenigstens). Und es geht nicht um die Bedeutungsveränderung, denen Wörter über die Zeit unterlegen sind – „Dirne“ bezeichnete früher ein hübsches, unschuldiges Mädchen – sonder um, ja, um so was wie ein moralisches Urteil, eine moralische Beurteilung? „Der Schwule“ als Inbegriff des Amoralischen und heute auf dem Weg zur ‚Normalität’? Der Text will sich heut mir nicht erschließen – aber so habe ich heute mal was zu denken.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen