Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Sonntag, 25. Dezember 2011

25. Dezember 1967

Johnons packt, pünktlich zu Weihnachten, eine kleine Überraschung aus. Gestern hieß es u.a.: "Zu Weihnachten 1936 war meine Mutter noch nicht tot. Noch Weihnachten 1937 war Lisbeht Cresspahl am Leben." Ich hätte es ja wissen können. Am ersten Weihnachstsfeiertag 1936 kommt Lisbeth ins Krankenhaus - Fehlgeburt. Das ist tragisch, aber Johnson spielt ein anderes, weiteres Thema an: die Schuld. "Meine Mutter hatte gehofft, mit dem zweiten Kind auch das eigene Leben zu verlieren, um zu entkommen aus der Schuld." Heftig, denn das ist nichts anderes als eine Art Suizid. Und warum? Johnson nennt viele Gründe, die alle für sich genommen nicht wirklich groß sind. Ihr Schuld mit Cresspahl nach England zu gehen "im heimlichen Wissen, daß sie mit ihm wohl leben wollte, jedoch nicht in der Fremde." Sie hat versucht, damit umzugehen doch "ihre Schuld hatte dann viel Verwandschaft bekommen". Alles läuft eben darauf hinaus, wenn man einmal in die falsche Richtung geht und keinen Mut hat, umzukehren, sondern nur vermeintliche Korrekturen vornimmt, dann bleibt man in der falschen Richtung. Spontan fällt mir Thomas Bernhard, ich glaube, es steht im "Keller" ein, der in diesem autobiographischen Roman seine Suche nach einer Lehrstelle schildert und im Arbeitsamt die allerersten Adressen genannt bekommt. Er will aber in die "entgegengesetzten Richtung", was niemand versteht. Ist eigenltich echt klasse gemacht, an Lisbeth eine Nation vorzuführen, die in die falsche Richtung ging, sich hat in diese treiben lassen (wie man das nun auch immer nennen will, ich erlaube mir nach wie vor kein Urteil darüber) und merkt, das was nicht stimmt. Und diese Nation wird in Form von Dr. Berling nochmals aufgeführt, der Lisbeth untersucht und sie ins Krankenhaus einweist. Der habe sich, so heißt es im Text, verändert und dann, quasi als Zusammenfassung: "Der trank nicht mehr, woh ihn einer abhören konnte." Einer also, der merkt, dass es die falsche Richtung ist, der aber nichts dagegen tut bzw. tun kann und Korrekturen vornimmt. Gestern erzählte mir meine Mutter ein ganz klein wenig, wie sie diese Zeit (als Kind) erlebt hat. Ja, sagte sie, man merkte schon, dass ein Jude nach dem anderen aus der Straße verschwand. Aber für sie als Kind, was hätte sie interpretieren können? Und ihr Vater, mein Opa (den ich nie kennen gelernt habe und der blind war) meinte unter vorgehaltener Hand: "Wir müssen den Krieg verlieren - denn ansonsten werde ich als 'unwertes Leben' um die Ecke gebracht."

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