Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Dienstag, 15. Mai 2012

15. Mai 1968

ich bin ja ein großer Proust-Fan und wohl einer der wenigen in meinem Altern. Und ich hab mich vor Jahren zwar nicht aufgeregt, aber dann doch arg den Kopf geschüttelt, als ich irgendwo las, es würde reichen, wenn man von Prousts Hauptwerk nur gewisse Teile lesen würde. Mir kam das so vor, als würde man beim Sex auf Berührung verzichten. Heute gibt es, als Essenz, von Johnson zu berichten, dass Mr. Ferwalter nun amerikanische Staatsbürgerin ist und sie sich darüber tierisch freut. Gesine dagegen sieht das leicht anders, denn wie soll man sich freuen einem Land anzugehören, dass gerade dabei ist, eine Nation auszulöschen? Ich möchte jetzt Johnson nicht mit Proust vergleichen, denn, lieber Herr Johnson, an den wird eh niemand mehr rankommen in dieser Art und Weise, aber trotzdem gelingt es Johnson auf den knapp vier Seiten doch eine Masse von Aspekten dieses Geschehnisses anszuspielen. Und das ist, lieber Herr Johnson, eine Leistung, vor der ich echt den Hut ziehen. Und wieder eimal ist für mich der Beweis erbracht, dass Literatur für sich steht und nur lesend erfahren werden kann - Literatur ist nicht vermittelbar, auch wenn ich das hier seit 276 Tage schon tue.

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