Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Sonntag, 3. Juni 2012

3. Juni 1968


Langer Eintrag. Oster 1946. Cresspahl noch immer nicht zurück. Gesine bemerkt nach wie vor, das Jakob und Hanna oft zu zweit spazieren gehen, sie versucht es zu ignorieren. Ein Care-Paket kommt, wenn auch schon zerfleddert. Erst spät kapiert Marie den Hinweis – eine Fotografie dreier strammer Schäferhunde – dass es von Dr. Seming kommt, der anscheinend in Berlin untergekommen ist. Die Sowjets sind weiterhin übergriff, so werden Leslie Danzmann im Juni 1946 auf offener Straße die Schuhe geklaut – keiner hilft ihr. Ende Juni schließt die Sowjetische Miliäradministration die Grenze ihrer Zone zu den Allierten. „Es waren von ihrem Neuen Leben zu viele Leute weggelaufen …“. Gesine und Hanna kommen im Sommer auf’s Land zu helfen. Anstrengend, schwer, aber mal was anderes und das Essen ist auch besser. Jakob kommt, wie versprochen, zu Besuch. „Wir merkten es bald, wenn er vor dem Gut war. Dann blieb Anne-Dörtes Stuhl beim Abendbrot leer (…) Manchmal waren bei der Rückkehr ihre Haare naß, Jakobs auch. Wir wussten nun, warum wir kein Bett eigens für Jakob gefunden hatten. In Jakobs Besuchsnächten lagen wir still … taten schlafend vor einander; keine ist von den Tränen der anderen aufgewacht …“ Frühes Liebesleid würde Thomas Mann jetzt vielleicht sagen. Ende August wird er Rest der Ernte durch ein Unwetter zerstört, dann geht es wieder zurück nach Jerichow. Dort laufen auf einmal alle Frauen in Kleider rum, „am Hals hatten sie Knöpfe offen, ihre schweren Arme waren blank und unbescheiden“. Grund: Die Russen sind weg. Nicht ganz weg, vom neuen Stadtkommandanten ‚nur’ in ihre Kasernen verband, kein Ausgang mehr. Es folgt eine kleine Verhaftungswelle für einen Tag, man will mehr über Cresspahl wissen. Und dann, ja dann verlässt auch noch Hanna Jerichow, sie macht rüber zu der Fischerverwandtschaft. „Es ging Gesine später auf, daß sie umarmt worden war wie es einem Jungen zukam.“ Und: „Als Gesine mit dem Sonnenaufgang zurückgekommen war zu dem leeren Bett, hatte sie neben ihren Holzpantoffeln die von Hanna gefunden, alle vier ordentlich nebeneinander ausgerichtet.“ Sie kann einem echt leid tun, so richtig hat sie nun niemanden  mehr.

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