Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Dienstag, 3. Januar 2012

3. Januar 1968

„Vorher wollten Jerichow sich wenigstens einen Juden vom Hals schaffen.“ Was recht brutal klingt, entpuppt sich dann – überraschenderweise? – als weniger brutal? Mit Wissen der Geschichte, ist es überhaupt nicht brutal sondern geradezu fürsorglich, wenn vielleicht auch ‚hilflos fürsorglich’. Ohne Wissen der Geschichte ist es brutal, ein Rauswurf, eine Schmähung. Denn man versucht den ehemaligen Tierarzt Arthur Semig ‚im Guten’ loszuwerden, will ihn abschieben nach Österreich zu einem Grafen, der genug Geld hat, sich einen Veterinär zu halten, man will sein Haus kaufen, damit er genug Geld zur Auswanderung hat. Doch Semig sieht es nicht ein – wie denn auch? – und verbietet sich die Einmischung. Für einen anderen Juden, Oskar Tan-nebaum, legen sie sich dagegen nicht ins Zeugs, der war ja „im besten Fall vor zehn Jahren nach Jerichow gekommen“. Mensch ist eben nicht gleich Mensch. Erinnert mich an die heutige leicht absurde Diskussion, dass Del-phine genauso intelligent seien wie Menschen, sich Namen (!) geben würden und man daher das Verhältnis Mensch-Delphin zu überdenken hätte. Das würde, so der Kollege, sich dann doch wesentlich ändern (und zu den Tieren allgemein, denn auch ein Schwein sei ja nicht gerade doof usw., usf.). Das sehe ich jedenfalls nicht, so lange eine Menschheitsgruppe der anderen den Schädel einschlägt. Fazit hinsichtlich Semig übrigens: „Und Papenbrock sag-te: Wenn ihr ich denn loshaben wollt, im Guten geht er nicht. Versucht es doch mal im Bösen!“

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