Die "Jahrestage" von Uwe Johnson (1934-1984) erschienen in den Jahren 1970, 1971, 1973, 1983.

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt.

Mein Vorhaben: Zum jeweiligen Datum den Eintrag zu lesen und hier meine Gedanken, Kommentare zu posten


Donnerstag, 5. Januar 2012

5. Januar 1968

Wie fast immer, Nachrichten aus Vietnam. Anzahl der Getöteten in der letz-ten Woche: 185 Amerikaner, 227 Südvietnamesen, 37 Alliierte. Für das Jahr 1967 insgesamt 9.535 tote Amerikaner, seit Beginn des Krieges 15.997. Schnitt. Die NYT berichtet über den Prozess gegen LeRoi Jones, Neger, kämpferischer Schriftsteller, der zu zweieinhalb Jahren und 1.000 Dollar ver-urteilt wird, weil er während der Aufstände in New Jersy im letzten Sommer zwei Revolver bei sich hatte. Die Härte der Strafe, so der Richter, begründet sich auch auf eins seiner Gedichte, das „Schwarze Volk“ gerichtet ist (s.u.). Nun, friedlich ist es gerade nicht. Aber mal ehrlich, ist so ein Gedicht nicht auch mal langsam für diese Nation nötig? Schätzungsweise liest es dann nur keiner, denn mit Protesten haben wir es nicht so, nehmen wir mal Atomkraft und Stuttgart 21 aus. Ansonsten sind wir eine überaus duldsame Nation, die zwar hin und wieder ausnahmsweise mal auf intellektuellem Niveau jammert und Verbesserungen fordert –aber die breite Masse, die bleibt ruhig, obwohl es sie betrifft. Ist es überbordender Individualismus? Ist es eine Entsozialisierung der Gesellschaft? Egoismus? Warum wird sich in Internetforen und sonst wo aufgeregt wie nichts – aber nach den Worten folgen keine Taten, mal abgesehen von irgendwelchen Extremisten. „Alle Macht geht vom Volke aus“ heißt es, aber das Volk will die Macht anscheinend nicht mehr. Ich rätsel nach wie vor darüber, aber erkenne ich mich in dem Gesamten natürlich leider auch selbst. Bevor ich auf eine Demo gehe …! Hat die Gesellschaft den Glauben an ihre Macht verloren? Ist es doch einfach nur zu anstrengend? Welches Initial ist notwendig, um die kleinen Flammen, die, meiner Meinung nach, in den meisten dann doch noch brennt, endlich zum lodern zu bekommen?

All the stores will open if
you will say the magic words.
The magic words are: Up
against the wall mother blank
this is a stickup! Or: Smash
the window at night (these are
magic actions) smash the windows
daytime, anytime, together,
let’s smash the windows drag
the blank from in there. No
money down. No time to pay.
Just take what you want. The
magic dance in the street. Run
up and down Broad Street
niggers, take the blank you
want. Take their lives if
need be, but get what you
want, what you need.

(Mit Dank mal wieder an: Johnsons „Jahrestage“ – Der Kommentar. Heraus-gegeben von Holger Helbig, Klaus Kokol, Irmgard Müller, Dietrich Spaeth (†) und Ulrich Fries. Unter Mitarbeit von Thomas Schmidt, Birgit Funke, Thomas Geiser, Ingeborg Gerlach und Rudolf Gerstenberg. https://www.phf.uni-rostock.de/institut/igerman/johnson/johnkomm/kontakt.html)

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